Warum so viele beim Blaugurt aufhören – und warum du es nicht tun solltest

Wenn man sich anschaut, wann im Brazilian Jiu Jitsu die meisten Leute aussteigen, gibt es eine Stelle, an der sich die Zahlen auffällig ballen: der Blaugurt. Und das ist interessant, weil es ja genau die Phase ist, in der man über den ersten Hügel drüber ist. Man kennt die Basics, man rollt halbwegs mit, vielleicht hat man sogar schon ein paar Turniere gemacht. Warum also hören ausgerechnet hier so viele auf?

Es liegt nicht am Training. Die Trainer bleiben dieselben, die Betreuung ist da, das System funktioniert. Was sich ändert, ist das Innenleben. Was sich ändert, ist die Haltung, mit der man auf die Matte geht. Und wenn man diesen Wechsel nicht versteht, wird's zäh.

Was am Anfang funktioniert hat – einfach hingehen, aufpassen, mitmachen, durchziehen – reicht irgendwann nicht mehr. Ab einem gewissen Punkt braucht es mehr als nur Anwesenheit. Man muss anfangen, Verantwortung zu übernehmen. Nicht für die Gruppe, nicht für das Gym, sondern für sich selbst. Und das ist ein anderes Spiel.

Psychologisch lässt sich das mit dem vergleichen, was man in anderen Lernprozessen auch kennt: dem "Tal der Ernüchterung". Nach der Anfangseuphorie, in der man gefühlt jeden Tag besser wird, folgt eine Phase, in der die Fortschritte kleiner werden. Weniger sichtbar. Weniger messbar. Man lernt immer noch, aber es fühlt sich nicht mehr so an. Und genau das frustriert viele. Die Motivation, die bisher aus den schnellen Erfolgen kam, funktioniert plötzlich nicht mehr. Und wer keinen anderen Zugang zum Lernen hat, steht auf der Bremse.

In der BJJ-Community ist das Phänomen längst bekannt und hat sogar einen eigenen Namen: blue belt blues. Gemeint ist dieses Gefühl der Stagnation, der leisen Frustration und der beginnenden Selbstzweifel. Wie John Danaher einmal schrieb: "Most blue belts know enough to realize how little they actually understand." (Quelle: Danaher, "Training Advice for Blue Belts", BJJ Fanatics Blog). Und genau darin liegt der Kern.

Ab dem Blaugurt weiß man genug, um zu merken, wie wenig man eigentlich weiß. Der Nebel lichtet sich nicht, er wird dichter. Du erkennst, dass es nicht reicht, die Technik einmal gehört zu haben. Du merkst, dass dein Kumpel dieselbe Technik komplett anders macht. Und schlimmer: dass sie bei ihm funktioniert und bei dir nicht. Das kann wehtun. Weil es bedeutet, dass das reine Sammeln von Moves nicht mehr reicht. Jetzt zählen Timing, Struktur, Reaktionen, Körpersprache. Jetzt musst du anfangen, zu verstehen. Und das dauert.

Viele steigen genau an dieser Stelle aus. Nicht, weil sie schwach sind. Sondern weil sie das Gefühl haben, es nicht mehr zu kontrollieren. Und das ist das eigentliche Problem: In Wahrheit geht's jetzt erst richtig los. Aber das erkennt man oft erst später.

Was kann man also tun, um dran zu bleiben?

Erstens: Versteh, dass du immer noch ein Anfänger bist. Blaugurt klingt nach Fortschritt, und das ist es auch. Aber du bist am Anfang von etwas Größerem. Du hast die Grundlagen, jetzt geht es darum, Tiefe zu entwickeln. Und das braucht Zeit.

Zweitens: Such dir kleine, konkrete Ziele. Nicht "ich will besser werden". Sondern: "Ich will aus der Closed Guard einen sauberen Arm Drag etablieren, bevor mein Gegner Grips macht." Oder: "Ich will in der Half Guard gezielt Underhook und Knee Shield kombinieren, statt immer dieselbe Reaktion zu zeigen." Klarheit entsteht durch Konkretion. Nicht durch Kalenderweisheiten.

Drittens: Lerne zu beobachten. Schau Matches. Auch wenn du nicht alles verstehst. Je mehr du siehst, desto mehr wirst du irgendwann erkennen. Erst kommt die Form, dann die Funktion. Und irgendwann kannst du beides lesen.

Viertens: Nutz die Regeln. IBJJF, AJP – die sagen dir ganz genau, was Punkte bringt. Das heißt im Umkehrschluss: Was du üben solltest. Wenn du weißt, welche Positionen dich im Kampf voranbringen, weißt du auch, was im Training zählt.

Und zuletzt: Akzeptier, dass es Tage gibt, an denen es nicht läuft. Du bist nicht schlechter geworden. Du bist mittendrin. Jiu Jitsu ist kein Sprint. Es ist eher wie Bergsteigen: Wenn du denkst, du bist oben, siehst du, wie viel noch vor dir liegt. Und genau das ist der Punkt, an dem es sich entscheidet: Gehst du weiter, oder drehst du um?

Wenn du lernst, das Lernen selbst ernst zu nehmen, nicht nur die Ergebnisse, dann bleibst du dabei. Und du wirst besser. Nicht weil du mehr willst. Sondern weil du besser weißt, was du tust.

Weiter
Weiter

IBJJF World Champion vs. Olympiasieger – Was ist schwerer?