Wenn das Feuer zu schnell brennt

Warum manche Schüler extrem begeistert starten – und dann komplett ausbrennen

Es gibt diese Momente, da kommt jemand zum ersten Mal ins Training – und du siehst es sofort: Der ist hooked.
Komplett elektrisiert. Alles aufsaugend. Will alles sofort lernen, stellt Fragen, bleibt nach dem Training, sucht Sparring, schaut Videos, erzählt jedem davon.
Du denkst: „Okay, der bleibt.“

Und dann: ein paar Wochen später … nichts mehr. Kein Rückmeldung, keine Nachricht, kein Training. Einfach weg.
Was ist da passiert?

Dieser Text ist keine Anklage. Es geht nicht um „war nicht tough genug“ oder „wollte den easy way“.
Es geht um Muster. Um Psychologie. Und darum, was in Menschen eigentlich passiert, wenn sie von etwas überwältigt werden – und warum genau das oft nach hinten losgeht.

1. Begeisterung ist kein Commitment

Die größte Verwechslung:
Begeisterung ist nicht das gleiche wie Bindung.

Wenn jemand mit leuchtenden Augen ins Training kommt, heißt das nicht, dass er langfristig bleibt.
Es heißt nur: „Etwas hat ihn gerade emotional gepackt.“
Das kann der Adrenalinkick sein. Die körperliche Nähe. Die Gruppendynamik. Der Stolz, etwas Neues durchgezogen zu haben.
Oder auch nur: Endlich mal wieder was für sich selbst getan.

Aber dieser Moment – so intensiv er auch ist – ist vergänglich.
Der Mensch kann in einem Zustand maximaler Motivation starten, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht zu haben, was es bedeutet, langfristig zu trainieren.

2. Warum es so extrem wirkt: Die Identifikation ist zu schnell

Viele Menschen haben ein Identitätsloch.
Sie suchen nach etwas, das sie ausfüllt.
Und BJJ ist prädestiniert dafür, weil es schnell eine kleine Subkultur öffnet: Insiderbegriffe, neue Körpererfahrung, physischer Kontakt, Community, Rollenbilder, Gürtel, große Namen, klare Hierarchie.

Das ist reizvoll. Und extrem wirkungsvoll, gerade bei Menschen, die vorher wenig Struktur oder Zugehörigkeit hatten.

Was dann passiert:
Sie schlüpfen komplett rein – wie in ein neues Ich.
Nicht langsam, mit Verankerung. Sondern impulsiv.

Aber das Problem ist:
Sie tragen diese Identität noch nicht von innen heraus.
Sie spielen sie nach außen – mit Social Media Posts, mit Rashguards, mit Motivation.

Und das ist gefährlich.
Denn wenn dann der erste Rückschlag kommt – ein Tritt gegen das Ego, ein schlechtes Sparring, eine Verletzung, ein Dämpfer – dann fällt nicht nur die Laune, sondern gleich die ganze Identität.

3. Emotionale Hochs machen blind für Realität

Wenn man euphorisch ist, blendet man gerne aus, was nötig wäre, um dranzubleiben.

Und BJJ ist eben kein reines Flow-Erlebnis.
Es ist zäh, manchmal stumpf, oft verwirrend, körperlich unangenehm, emotional konfrontativ.
Es gibt Wochen, da fühlt man sich wie ein kompletter Anfänger – obwohl man schon Monate dabei ist.

Wer in der Euphoriephase nur die Faszination sieht, der blendet die Friktion aus.
Und ist dann umso enttäuschter, wenn sie kommt.

4. Viele haben kein stabiles Selbstbild

Ein harter Punkt, aber wichtig:
Manche Menschen nutzen BJJ (oder generell neue Hobbys), um sich selbst zu regulieren.
Wenn das eigene Leben gerade instabil ist – beruflich, emotional, sozial – dann kann ein Sport wie BJJ wie ein Strohhalm wirken.

Aber der Sport selbst löst keine Grundprobleme.
Er legt sie sogar oft schonungslos offen.

Und wer dann merkt, dass es nicht nur geil, sondern auch schmerzhaft, unübersichtlich und hart ist, der zieht sich zurück – nicht, weil BJJ schlecht ist, sondern weil es zu viel ist.
Zu viel Konfrontation, zu viel Nähe, zu viel Realität.

5. Was wir als Trainer falsch machen können

Manchmal unterstützen wir diese Extreme auch unbewusst:

  • Wir loben übertrieben schnell („Wow, du hast krasse Anlagen!“).

  • Wir lassen neue Leute zu früh zu viel machen.

  • Wir geben ihnen zu viel Raum, zu viel Aufmerksamkeit, zu viel Vorschussvertrauen.

Das passiert nicht aus Schwäche, sondern aus guter Absicht.
Aber es überfordert Menschen, die gar nicht wissen, worauf sie sich da einlassen.
Und gleichzeitig ignorieren wir oft die stillen Schüler, die sich langsam entwickeln, aber konstant bleiben.

6. Was bleibt: Was tun mit diesen Erkenntnissen?

Du kannst niemanden vor dem eigenen Muster retten.
Aber du kannst Strukturen bauen, die helfen:

  • Früh kommunizieren, wie der Alltag im BJJ aussieht. Keine falsche Romantik.

  • Neue Schüler nicht überbetonen. Auch wenn sie Talent haben.

  • Geduldig sein mit Rückzügen – aber nicht hinterherlaufen.

  • Das Verhalten, nicht die Worte beobachten.
    (Wer fünfmal kommt, hat mehr Substanz als einer, der fünfmal sagt: „Ich liebe diesen Sport!“)

Und das Wichtigste:
Nicht enttäuscht sein.
Nicht jeder, der mal dabei war, muss bleiben.
Manche kommen für ein Kapitel, nicht für ein Buch.
Und das ist okay.

Fazit:
BJJ zieht viele Menschen an – aber nicht alle sind bereit, zu bleiben.
Nicht, weil sie schwach sind. Sondern weil der Anfang nicht der Maßstab ist.
Langfristigkeit entsteht nicht durch Euphorie, sondern durch Wiederholung.
Wer bleiben will, muss scheitern, zurückkommen, durchziehen.
Und das dauert länger als drei Monate.

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